Tanzschreiber Review

David: Wie würdest du die Beziehungen der Tänzer*innen untereinander, deren Haltung und Auftreten beschreiben?

Alex: Eine Mischung aus scheinbarer Selbstvergessenheit, unaufgeregter, aber zielgerichteter Geschäftigkeit, Präzision, Spiel und Ernst - diese Haltung oder Ausstrahlung ist es, was am ehesten als Gefühlseindruck bei mir geblieben ist. Wie eine Farbe oder eine diffuse unmögliche Erinnerung, die zu mir spricht und vermuten lässt: “So ähnlich muss es ausgesehen haben in der Judson Church...” – und gleichzeitig erkenne ich die Berliner Tänzerchoreograf*innen, jede*n für sich in der eigenen Individualität. Die Dynamiken zwischen denjenigen, die sich in Pose begeben und denen, die als Korrektiv von außen agieren - umsichtig über die Bühne laufen und den Anderen Anleitungen für kleinste Änderungen in Gestik, Haltung oder Ausdruck vermitteln, um sich dann selbst in eine Pose einzureihen…

Für mich war die Beziehung zwischen den zehn Tänzer*innen eine von extremer Verbindlichkeit und Flexibilität, bei der alle einen gemeinsamen Plan verfolgen, in jedem Moment als Gruppe und für sich agieren – etwa, wenn sie einander überraschen und sich zu einem Schmunzeln oder kleinen abweichenden Neben?-Kommunikationen hinreißen lassen. Und dazu diese Musik, der Groove, die Dramatik, von der sie sich scheinbar nicht haben beeindrucken lassen, und die natürlich einen riesigen Anteil an der Wirkung/ der Aura? dieses Monumentalen/Humorvollem hatte. Lässige Monumentalität!

David: Was hat dich während des Stücks beschäftigt?

Alex: Ich war denke ich sehr damit beschäftigt, mir wirklich die Posen anzusehen und wieder einmal so hingerissen davon, wie sehr sich ein Bild von einem Körper ändern kann, je nachdem welche Mikro-Bewegungen in diesem vorgehen. Wie unstetig Bedeutung ist (haha, was für eine Binsenweisheit, aber trotzdem) - das ist so ein alter Schuh in der Tanzwissenschaft und doch immer wieder beeindruckend: dass es neben dem Tod (und wer weiß das schon) keine Abwesenheit von Bewegung geben kann. Ich war total gefesselt davon, wie sich die Posen mit jeder*m Tänzer*in verändern, der sich neu dazu stellt, wie sie von Körper zu Körper weitergegeben werden und doch nie ganz dieselben sein können. Wie sich mein Blick auf diese Posen verändert, desto länger ich drauf schaue, wie sie ein Eigenleben in diesem bewegten Stillstand führen…

Ich bin dann davon abgesehen auch abgeschweift und hab dann wieder über “Training” und “Probe” nachgedacht. Wofür trainieren und proben wir eigentlich? Geht es um das Bild nach außen oder um unsere Körper und wie hängt das alles zusammen…? UND hier im Speziellen - ich komme nochmal auf die Musik zurück - hatte das so eine amüsante Wirkung zwischen leichtfüßiger Party und Drama - man hatte ständig das Gefühl: JETZT GEHTS LOS ohne zu wissen, was und wohin. Also, ich hab mich dann schon gefragt, ob hier für den Aufstand geprobt wird, oder ob ich mir den nur mal wünschen würde, aber das geht jetzt zu weit… ;)

Dann lass uns nochmal zurück kommen: welche Rolle hat Einfachheit oder Klarheit („Simplicity“) für dich hier gespielt?

Alex: Eine große! Das heißt, die Einfachheit in der Komplexität. Die Posen und die Anordnung im Raum, die „Spielanweisung“ für das Stück sind ja denkbar simpel - auch die konkreten Posen. Kompliziert, oder besser gesagt komplex wird es dann aber doch in der Umsetzung und über Zeit und Haltung und das Verkörpern, über Blicke zueinander, ins Publikum oder über die virtuose Geste, „einfach nur“ über die Bühne zu gehen…Oder diese Mikro-Bewegungen, von denen ich schon gesprochen habe, die eine ganze Pose, eine ganze Ausstrahlung und das Bild eines Körpers so radikal ändern können: wenn nach zwei Minuten in der Pose-Sein aus Armen, die empor gestreckt werden und nach oben streben, plötzlich zwei Lasten werden, die auf die Schultern herab zu stürzen scheinen, auch wenn sich augenscheinlich niemand bewegt hat…Du merkst schon, ich konnte eine Menge anfangen mit dieser Einfachheit ;)