David: Kannst du die Welt des Stücks beschreiben?

Beatrix: Das Bühnenbild glich einem Zauberwald. Eine riesige Videoprojektion fungierte als Fenster in eine uralte, mit Moss bewachsene Landschaft, in der Bäume 100 Jahre alt werden und ein mystischer Dunst zischen ihren knorrigen Zweigen hängt. Der Wald wurde, direkt auf der Bühne, von schimmernden tierischen Wesen bewohnt, die kunstvollen Kopfschmuck aus Federn sowie knallrote Kleider und goldene Trikots trugen. Diese Figuren führten merkwürdige Handlungen aus. Indem sich einige von ihnen schnell und andere langsam bewegten, schufen sie Stück für Stück eine chaotische Collage, die durch eine eigene innere Ordnung strukturiert wurde. Ich mochte die Feinheiten der Komposition: kleine Veränderungen in der Dynamik, sowohl im Film als auch in den sich bewegenden Körpern, führten zu stark divergierenden Bildern.

Welche Rolle spielte die Musik in dieser Komposition?

Die Handlungen der bemerkenswerten Figuren wurden von einem gefühlsgetragenen Soundtrack unterstützt. Das dramatische und lebendige Klavier, das dem Stück anfangs das Gefühl eines Thrillers verlieh, wurde gefolgt von dröhnenden Beats und eklektischen Melodien, die an wilde, etwas planlose Discomusik erinnerten und aus denen dann ein Bild wurde, das man als „Nachtleben bei Alice im Wunderland“ beschreiben könnte.

Wie wichtig war das Element des „Mystischen“ für das Stück? 

Da die Kompanie Dançando com a Diferença mit Tänzer*innen arbeitet, die eine Behinderung haben, hatte jede*r der Performer*innen eine Einschränkung, die unterschiedlich stark sichtbar war. Indem sie eine mystische, magische Welt schufen, die von merkwürdigen und wundervollen Wesen bevölkert wurde, verwandelten sich die Einschränkungen der Tänzer*innen in Eigenschaften, die sie in eine fantastische Sphäre transportierten. Ihre Kostüme und ihre Art, sich zu bewegen, erlaubte es ihnen, Formen anzunehmen, zu Figuren und bloßen Abstraktionen zu werden – durch diesen Prozess verwandelten sie sich in „mehr als menschliche“ Wesen. Gleichzeitig wurden jedoch auch ihre persönlichen Geschichten in dem Waldfilm erzählt. So wurden wir daran erinnert, dass sie trotz ihrer königlichen Erscheinung dennoch wahnsinnig menschlich sind.

Und wie haben die Performer*innen auf der Bühne eine Verbindung zueinander aufgebaut? 

Manchmal standen sie in direktem körperlichen Kontakt, zum Beispiel in einfühlsamen Duetten oder in sich überschlagenden Gruppenversammlungen. Aber sie haben auch aus der Entfernung Verbindungen gezogen: In einer bemerkendwerten Szene gegen Ende des Stücks wurden silbern schimmernde Scheiben über die Bühne geworfen und ein Tänzer hob sie eine nach der anderen auf und ließ das sich auf den Scheiben reflektierende Bühnenlicht auf die Tribüne strahlen. Eine andere Tänzerin fing das Licht mit ihrem Kostüm auf, bewegte sich damit durch das Publikum und nahm in ihrem/seinem golden schimmernden Kostüm sinnliche Posen ein. Es war fesselnd, dabei zuzusehen.

Wie konntest du diese „Glücksinsel“ in Bezug setzen zu unserer Welt im Ganzen?

Die Tänzer*innen teilten mit uns einen Raum, in dem sie sich scheinbar von der Art und Weise, wie ihre Körper sonst gesellschaftlich wahrgenommen werden, befreit fühlten. Ich glaube, dass jede*r von uns das verstehen kann: wir alle erleben, in ganz unterschiedlichen Bereichen, von der Gesellschaft auferlegte Einschränkungen. Vielleicht ist es gerade die grundlegende Sehnsucht nach Freiheit, die uns alle miteinander verbindet.