Intensität und Klarheit

Ab dem 1.8.2019 ist dieser Artikel auch in der kostenlosen Printausgabe vom Magazin im August an allen Spielorten erhältlich.

Hohe Energie auf kleinem Raum: In “OneTwoThreeOneTwo” sucht der Tänzer und Choreograf Albert Quesada eine Weise, dem Flamenco künstlerisch zu begegnen.

Interview: Esther Boldt

Esther Boldt: Was hat Sie am Flamenco fasziniert?

Albert Quesada: Vor allem die Intensität und das Gefühl, dass jede Handlung aus dem Inneren kommt, ganz gleich ob sie durch Schmerz oder Freude entsteht. Ob die Motivation für eine Handlung real ist oder künstlich erschaffen wird steht auf einem anderen Blatt, denn auf den ersten Blick sieht sie immer real aus.* Außerdem hat mich die Klarheit in den Bewegungen der Tänzer*innen angezogen, ihre Schärfe und Präzision, und ihre Art sich dem Publikum gegenüber zu verhalten. Und dann war da natürlich noch die Musik. Mit ihr fing mein Interesse an der Welt des Flamencos tatsächlich an:  die scheinbare Einfachheit des Gesangs (der eigentlich gar nicht so einfach ist) und die schwierigen rhythmischen Muster.

*Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob die Intensität, die Sänger*innen und Tänzer*innen im Flamenco ausstrahlen, real ist oder künstlich erschaffen wird. Was ich allerdings nicht in Frage stelle ist die Tatsache, dass die Gefühle, die sie in uns erzeugen, definitiv real sind. Und vielleicht kommt es ja darauf letztendlich an? 

EB: Wie sind Sie den Transfer von einer folkloristischen auf eine zeitgenössische Tanzbühne angegangen?

AQ: Als Erstes haben wir versucht, einige der formalen Aspekte zu verstehen: die schon erwähnte Frontalität, die Klarheit und die vertikale Perspektive. Diese Aspekte haben wir als Rahmen genutzt und zum Ausgangspunkt gemacht; mit ihrer Hilfe haben wir uns den geschulten Körpern unser Tänzer*innen genähert. Später haben wir dann die Prinzipien des Flamencotanzes unter die Lupe genommen: der Gebrauch von Spiralen, von Bewegungsendungen, Isolation, Dynamik – dann haben wir diese Elemente in unseren improvisierten Tanz integriert. Wir übersetzen diese Intensität also in körperliche Aufgaben und verbanden sie mit bereits existierender Flamencomusik. Das Ergebnis, das wir erreichen wollten, waren die Intensität und Klarheit des Flamencos, jedoch übersetzt in einen weniger klar erkennbaren Körper.  

Es war eine Herausforderung, sich mit einem so klar erkennbaren Genre auseinanderzusetzen und es mit ausreichend Distanz und Respekt zu behandeln, um auf der einen Seite nicht vorzugeben, sich darüber lustig zu machen und auf der anderen Seite nicht lächerlich auszusehen bei dem Versuch, etwas zu machen, das wir nicht können oder jemand zu sein, der*die wir nicht sind. Der Flamenco ist nicht Teil unserer Kultur, wir kommen nicht aus Südspanien. So haben wir ihn auf unsere eigene Weise verstanden und ich habe akzeptiert, dass dies der einzige Weg ist, sich dem Flamenco zu nähern.

EB: Im Gegensatz zu den meisten Flamencoaufführungen sind die zwei Tänzer*innen während Ihrer Performance dem Publikum sehr nah. Warum?

AQ: Die Tänze und Gesänge des Flamencos haben ihren Ursprung in Familienfesten, später wurden sie dann auf kleinen Bühnen in Cafés aufgeführt. Nähe und Intimität waren wichtige Elemente. Sie ähneln auf eine Weise den Arbeitsphasen von uns Künstler*innen, wenn wir im Studio sind und proben. Oft verbringen wir Monate auf engem Raum, nehmen jedes Detail war, eine Veränderung des Blickes, den Geruch und die Geräusche des Körpers. Später passiert es oft, dass wir die Tänzer*innen zu stark von den Zuschauenden trennen, so dass viele Details zu klein werden und verloren gehen. Wir wollten diese Nähe wieder herstellen und dem Publikum eine sehr private Erfahrung bieten. Das hieß jedoch auch, dass wir uns selbst verändern mussten. Wir begrenzten den uns zum Tanz zur Verfügung stehenden Raum, um unsere Erfahrung zu verdichten und so unsere Reise auf der Bühne bewusst zu beeinflussen. Das Publikum, das sich auf allen vier Seiten der Bühne befindet, zwingt uns, uns jeden Blickwinkel unseres Tanzens bewusst zu machen. Dank der Spiralen, die wir hier drehen, wird der Raum kompakt und endlos zugleich.

EB: Welche Rolle spielt das Arbeiten mit Musik in Ihren Stück? Wie strukturieren oder verstehen Sie die Beziehung zwischen Bewegung und Musik?

AQ: Musik ist meist der Ausgangspunkt meiner Arbeiten. Ich sage oft, dass es mein Ziel ist, das Publikum darin zu unterstützen, auf eine bestimmte und andere Art zuzuhören. Bei jedem Projekt mache ich es mir zum Ziel, dass ich, sobald ich mich auf ein musikalisches Genre (Klassik, Pop, Oper, Flamenco) oder ein bestimmtes musikalisches Stück festgelegt habe (Die “Goldberg-Variationen“, eine Beethoven Sonate, die Tannhäuser-Ouvertüre), für mein Publikum eine musikalische Reise gestalte, die dann zu einem Gerüst wird, aus dem der Tanz sich entwickeln kann.

Ich suche immer nach Musik, die ein mehrmaliges Hören entweder verdient oder diesem standhält, und die mit jedem Hören vielseitiger wird. Oder ich suche Musik aus, die beim ersten Zuhören vielleicht zu undurchsichtig erscheint. So forsche ich nach den an den besten geeigneten Mechanismen, um entweder ein neues oder erstes Zuhören anzuregen.

In meinem letzten Stück “Flamingos“ habe ich zum Beispiel Aspekte von Flamenco untersucht, die in anderen musikalischen Genres auftauchen, zum Beispiel in Stücken von so unterschiedlichen Künstler*innen wie Whitney Houston, Maria Callas und Elton John.

Meine Beziehung zur Musik ist immer von Neugier und Respekt geprägt, und von der Suche nach möglichen Zugängen für Bewegung und der übergreifenden Motivation des Komponisten oder der Komponistin. Ich bin davon überzeugt, dass Musik nicht dazu da sein sollte, den Tanz zu begleiten. Sie sollte ebenso präsent und wichtig sein wie der Tanz selbst.

Albert Quesada & Zoltán Vakulya

OneTwoThreeOneTwo

21.8., 19:00 | 22. + 23.8, 21:00 | 24.08, 19:00 | HAU3