Kathartisches Gelächter

Euripides Laskaridis gilt als Neuentdeckung der griechischen Kunstszene 

Text: Florian Gaité

Nach dem Erfolg von “Relic”, das in ganz Europa zu sehen war, greift Euripides Laskaridis auf die Figur des Titans zurück und lässt in einer kontemplativen Farce Poesie und Groteske aufeinander prallen.

Das ‘Lächerliche’ und die ‘Verwandlung’ sind die Leitprinzipien der Arbeit des griechischen Künstlers Euripides Laskaridis, in der ein Titanen-Duo, das die noch kommende Menschheit symbolisiert, in ihrem Zufluchtsort für alle Ewigkeit herumirrt. Hinter dem, was den Anschein eines desillusionierten Karnevals erweckt, verbirgt sich die kritische Kraft des Ungewöhnlichen und der Karikatur. Es entsteht eine plastische Fabel, deren Bedeutung bewusst uneindeutig bleibt.

Der Performer, Film- und Theaterschauspieler Euripides Laskaridis, der unter anderem für Robert Wilson und Dimitris Papaioannou arbeitete, ist auch Regisseur und Filmemacher. Er hat sowohl Architektur wie auch Darstellende Künste am Brooklyn College in New York studiert und schafft ein vielschichtiges künstlerisches Universum, das auf Elemente des Burlesken, des Kinos, des Zirkus’ und des Theaters des Absurden zurückgreift. Laskaridis ist bekannt für seine beherrschte Exzentrik, seinen scharfen Sinn für Dramaturgie und seine lebhafte Kreativität. Er gilt als Neuentdeckung der griechischen Kunstszene,  wurde in die Plattform Aerowaves aufgenommen und war 2016 Stipendiat der Pina Bausch Foundation. Seine Kompanie OSMOSIS lebt die Widersprüchlichkeit ihres Namens, der sowohl einen starken, erschütternden Schub, als auch den Einfluss, den Gegensätze aufeinander haben, beschreibt. Diese szenischen Ausgangspunkte sind Teil einer komplexen, fragmentarischen Erzählung, die verschiedene Genres und Töne mischt, um eine Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten zu eröffnen. In “TITANS” setzen sich zwei Freaks in einer überzeichneten Mondlandschaft, jenseits der Wirklichkeit, mit ihrer Langeweile auseinander. Sind sie ein Spiegel der Menschheit oder vielmehr fremde, abstoßende Figuren? Jedenfalls sind es zwei von ihrem Leben enttäuschte Wesen, die der Sinnlosigkeit ihrer Existenz ein kathartisches Lachen entgegensetzen.
 

Freak-Show

 

Diese Wesen weisen weder ein eindeutiges Geschlecht noch eine bestimmbare Kultur auf, eines ist grotesk geschminkt, das andere trägt eine Maske. Die Hauptfigur ist ein humanoides Wesen mit Wasserkopf, rosa Haut und Stupsnase, das entweder schwanger oder kräftig gebaut ist. Es wird begleitet von einem Assistenten, einem Untermenschen, der im Schatten des Wesens agiert. Sein Aussehen wirkt wie ein Magnet und weckt unsere Neugier – die Verführung, würde Freud sagen, ist bei Laskaridis visueller Natur. Sie beruht auf Effekten, die den Blick des Publikums auf sich ziehen, indem sie die Lust am Bizarren und Ungewöhnlichen ansprechen. “TITANS” ist auch inspiriert von Unterhaltungsformaten wie Zirkus, Vaudeville oder Kabarett, in denen die Verwandlung eine zentrale Rolle spielt. Diese Funktion wird von dem Bühnenbild übernommen, obwohl dieses sich auf eine minimalistische Bastelei beschränkt, die manchmal an ‘arte povera’ erinnert. Es gibt einen einzigen geschlossenen Handlungsort (ein ‘huis clos’), der eher häuslich wirken könnte, wären da nicht die hängenden Elemente, die Leere und die Dunkelheit, die dem Alltäglichen etwas Überirdisches verleihen, und an ein dekonstruiertes Planetenmobile oder die Ruinen eines verlorenen Paradieses erinnern. Dieser karge, sich stetig wandelnde Ort macht auch die Wandelbarkeit der sich dort bewegenden Identitäten sichtbar.

Die ‘freakige und queere’ Ästhetik, die auch schon in den Inszenierungen von “Venus” oder “Relic” vorkam, hinterfragt unsere Beziehung zum Seltsamen, die Akzeptanz von Unterschieden – und lässt die soziale Performativität mit der szenischen Theatralität verschmelzen. Die Künstler*innen und Drag Queens Leigh Bowery, Klaus Nomi, Divine oder Christeene produzieren das Unwägbare und Irreduzible, während Euripides Laskaridis’ Figuren das Lächerliche, das in uns allen schlummert, sichtbar machen. Er lädt uns dazu ein, uns selbst als Karikaturen zu sehen, als mehr oder weniger gescheiterte Akteure eines Lebens, das von anderen bestimmt wird. In seiner Serie fotografischer Selbstportraits “Quirks”, nutzt er Kostüme, um die Macht sozialer Konstrukte sichtbar zu machen und zu zeigen, wie tief sie in uns eingeschrieben sind. Wie auch bei dem südafrikanischen Performer Steven Cohen, ist die Travestie eine Möglichkeit, durch eine Neuanordnung der Identitätsmerkmale, jenseits der Monstrosität der Akteure zu blicken. 

Ultra-kosmisch

 

Bei Euripides Laskaridis geht es weniger um eine folkloristische und traditionsgetreue Aneignung der griechischen Mythologie als darum, die menschliche Archaik zu beschreiben. Von Aristophanes antiker Komödie über das Fantasie-Pantheon von “Venus” und “Relic”, bis zu den neubelebten Mythen in dem Stück “Dearest Welcoming Lemnos”: dieses Erbe wird als verlorener Herkunftsort herbeibeschworen, der als Gegengewicht fungiert und dem Regisseur erlaubt, die Distanz zwischen idealer und realer Welt zu überprüfen.
 

Laskaridis schafft eine elastische, metaphorische Landschaft, in der alle ihren Platz finden können.

Als Spiegel des Menschen, seines Scheiterns, seiner Unsicherheiten, sind die Titanen Antihelden, primitive Götter, die die Menschheit daran erinnern, wie simpel sie mitunter gestrickt ist: Ihre exzentrische Parade ist eine Darstellung eines primitiven und prärationalen Weltzustands, ist aber auch eine Rückkehr zum Unbewussten, mit all dem Unbestimmten, Irrationalen und Spontanen, das es mit sich bringt. Von psychologischen Mikrokosmos zum planetaren Makrokosmos, Laskaridis schafft eine elastische, metaphorische Landschaft, in der alle ihren Platz finden können. Obwohl Euripides Laskaridis 2009 im Kontext der griechischen Krise seine Kompanie gründete, hat er sich aufgrund der politischen Entwicklungen geweigert, seine Produktion “Syntagma” zu zeigen. “TITANS” hingegen kann man nicht als Allegorie für die Krise, die das Land seit 2008 erlebt, deuten. Ziel dieses entschieden zeitlosen, entwurzelten Stückes ist es, sich wieder mit der Tragödie der menschlichen Verfasstheit zu verbinden und nicht, die heutige Welt abzubilden. 

Burleske Metaphysik

 

Euripides Laskaridis entschärft durch die Leichtigkeit der Form die Schwere der behandelten Themen. In der Atmosphäre einer sich ihrem Ende zuneigenden Party geht es in “TITANS” um Tod, Schmerz, Einsamkeit und Eitelkeit. Das Besondere des Stückes besteht darin, diese Fragen zu behandeln, dabei aber die Belanglosigkeit des Alltags (Pflanzen gießen, Schaukeln, Fegen) und die Absurdität des Seins, die menschliche Zeit und die Ewigkeit der Sterne gleichzustellen. Somit wirkt das Stück wie ein fröhlicher Widerspruch, den die Figuren nicht auflösen, sondern eher verschärfen wollen.


Die Choreografie folgt der Dramaturgie: auch hier wird das Burleske des Belanglosen mit der Metaphysik verbunden. Das Motiv des Drehens als Gemeinsamkeit zwischen dem Alltag und den Planeten strukturiert die Begegnung zwischen Choreografie und Dramaturgie: der Schaukelstuhl aus “Relic” wird hier zur Schaukel, deren wiegende Bewegung die schon quälende Atmosphäre verstärkt. Zögern, überflüssige oder gar oberflächliche Gesten, das Einnehmen falscher Positionen sind der Wortschatz dieser tragischen Komödie, die sich selbst von jeglicher linearen, geradlinigen Entwicklung oder präzisen narrativen Logik distanziert. In diesem Tableau zeichnet Euripides Laskaridis liebevoll die Widersprüche einer zwischen dem Wunsch nach Unsterblichkeit und dem Bewusstsein seiner Endlichkeit verlorenen Menschheit, und verwandelt ihr improvisiertes Schicksal in titanische Symptome des Menschseins.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2017 im artpress Magazin im Rahmen von “New Settings” ein Programm der Fondation d’entreprise Hermès veröffentlicht.

Übersetzt aus dem Französischen von Anna Katharina Johannsen. 

Euripides Laskaridis / OSMOSIS

TITANS

23.+24.8., 21:00 | 25.8., 19:00 | HAU2
Deutschlandpremiere